Der englische Mathematiker Alan M. Turing befaßte sich mit den grundlegenden Überlegungen zu Entwicklung von elektronischen Rechenmaschinen. Er konnte mittels der von ihm erdachte imaginären Turingmaschine beweisen, daß mathematische Aufgabenstellungen auf elementare Algorithmen zurückgeführt werden können. Diese 1936 erdachte logische Maschine beschreibt heute noch die Arbeitsweise eines jeden Computers.
Turing war der Meinung, daß “künstliche Intelligenz” möglich sei, daß sie die menschliche Intelligenz irgendwann einmal nachahmen oder sogar übertreffen könne. Turing war ein abstrakter Denker und Theoretiker. Für ihn war klar, daß jede sinnvolle Form des Denkens dem mathematischen Denken unterworfen war. Dies ist eine Studienarbeit aus dem Jahre 1999, welche sich mit der Fragestellung beschäftigt, ob eine Maschine denken kann.
Der Aufsatzes von Turing
In diesem Kapitel will ich erst einmal darstellen, wie Turing an das Problem der denkenden Maschinen heranging. Dafür gebe ich nun den Inhalt seines Aufsatzes wieder.
Das Imitationsspiel
Für die Frage, ob Maschinen denken können, muß man sich erst einmal klar werden, was eigentlich Denken bedeutet und was man unter einer Maschine verstehen soll. Turing will die Definition von Maschine und Denken allerdings nicht mit dem allgemeinen Sprachgebrauch festlegen, da dies seiner Meinung nach in einer Meinungsumfrage enden würde. Statt dessen stellt Turing eine ähnliche Frage, welche die Antwort auf die oben gestellte Frage geben soll. Er stellt sein Imitationsspiel vor. Hierfür benötigt er zunächst erst einmal drei Menschen: einen Mann (A), eine Frau (B) und einen Fragesteller ©. Der Fragesteller sitzt in einem separaten Raum. Die Aufgabe des Fragestellers ist es zu unterscheiden, welche der beiden Personen der Mann und welche die Frau ist. Die Kommunikation zwischen den Personen verläuft schriftlich (maschinengeschrieben), damit es auch eine wirkliche Denkentscheidung ist, sich also die Personen nicht sehen und hören.
Das Ziel der Person (A) ist es, den Fragesteller möglichst zur falschen Identifizierung zu veranlassen. Turing nennt hier als Beispielantwort für (A): “Mein Haar ist kurz geschnitten, und die längsten Strähnen sind 23cm lang”. Das Ziel der Person (B) besteht darin, dem Fragesteller zu helfen. Eine mögliche Strategie liegt womöglich darin, daß sie dem Spieler © wahrheitsgetreue Antworten gibt, welche vielleicht noch Hinweise enthalten wie z.B.: “Ich bin eine Frau, hör nicht auf den anderen.” Solche Aussagen können natürlich auch vom Spieler (A) kommen.
Wir stellen uns nun folgende Fragen: Was passiert, wenn wir den Spieler (A) mit einer Maschine austauschen? Wird sich dann der Fragesteller genauso häufig irren bzw. richtig entscheiden? Diese Fragen stellt Turing an die Stelle der obigen Frage, ob Maschinen denken können.
Kritische Bemerkungen zum neuen Problem
Turing zeigt nun, daß sein Gedankenspiel scharfe Grenzen zieht zwischen den physischen und den intellektuellen menschlichen Fähigkeiten, und somit eine Untersuchung seiner neuen Frage durchaus legitim ist.
Der Fragesteller kann nun nicht sehen, fühlen oder hören, ob er mit einem Menschen oder einer Maschine kommuniziert. (Ein Roboter mit menschenähnlicher Haut würde ihn auch nicht unbedingt menschlicher machen.) Der Fragesteller kann nun auch keine praktische Beweise fordern, z.B.: “Springe !”.
Als kritische Bemerkung kann man feststellen, daß der Computer gegenüber dem Menschen im Nachteil ist. Ein Mensch kann keinen Computer simulieren, da er zu langsam und teils auch zu ungenau ist. Turing fragt hier nun, ob es nicht sein könnte, daß Maschinen etwas ausführen, was wir als Denken bezeichnen können, aber was sich von unserem Denken stark unterscheidet. Diese Frage stellt er allerdings nach hinten, solange man davon ausgeht, daß man eine Maschine konstruieren kann, die das Imitationsspiel gut bewältigt, also Maschinen, die so antworten können wie Menschen.
Ein weiterer Einwand wäre, daß für das Imitationsspiel eine andere Strategie erfolgreicher wäre, als die des Nachamens menschlichen Verhaltens. Turing möchte sich hier nicht mit der Theorie des Spieles an sich auseinandersetzen und geht davon aus, daß der Versuch sich so zu verhalten, wie ein Mensch es normalerweise tut, die beste Strategie für sein Spiel ist.
Die am Spiel beteiligten Maschinen
Als nächsten Schritt muß man sich erst einmal klar werden, was eine Maschine in unserem Spiel überhaupt ist. Für das Imitationsspiel erlaubt Turing zuerst einmal alle maschinenbautechnische Hilfsmittel, um eine geeignete Maschine herstellen zu können. Außerdem läßt er zu, daß die Ingenieure die Operationsweise ihrer funktionierenden Konstruktion nicht zufriedenstellend beschreiben können, weil womöglich experimentelle Konstruktionsweisen benutzt wurden. Menschen, die auf üblicher Weise zur Welt kamen, werden nicht als Maschinen bezeichnet.
Jetzt entsteht ein Problem. Man könnte vielleicht irgendwann einmal einen Menschen anhand einer einzelnen Zelle mit maschinenbautechnischen Mitteln heranzüchten. Da dieser aber nicht als Maschine angesehen werden soll, muß man die oben genannte Freiheit doch einschränken. Auch darf nicht eine Befruchtung stattfinden. Turing hätte gerne ein Ingenieurteam aus einem Geschlecht…
Turing betrachtet nun ausschließlich Elektrorechnern bzw. Digitalrechnern, wenn es um die Frage der denkenden Maschinen geht. Damit ist sein Aufsatz immer noch aktuell. Er zeigt, daß dies nicht unbedingt eine starke Einschränkung ist. Für ihn kann ein Digitalrechner nicht denken, wenn er sich in seinem Imitationsspiel nicht bewähren könnte. Seiner Meinung nach ist dies aber doch möglich und man solle es einfach ausprobieren. Für die Konstruktion eines “denkenden” Rechners kann zum Beispiel eine Statistik erstellt werden, die angibt, wie oft man den technischen Spieler richtig identifiziert hat. Dafür wird eine große Anzahl von Fragen benötigt. Nun könnte einen Digitalrechner bereitgestellt werden, der alle Informationen dieser Statistik enthält. So ein Rechner könnte sich im Imitationsspiel bewähren.
Digitalrechner
Turing vergleicht in diesem Kapitel den Menschen mit dem Computer der ein mathematisches Modell darstellt und keinesfalls real ist. Somit hat sich Turing von konkreten Aussagen über seine Rechnerstruktur freigemacht. Ein Rechner mit diskreten Zuständen, also ein Digitalrechner, löst seine Aufgaben nach festen Regeln, deswegen kann er auch Aufgaben eines Menschen übernehmen. Als nächstes nimmt Turing an, daß der Mensch sein Leben ebenfalls nach festen Regeln lebt. Der Mensch kann Papier und kleinere Rechner sowie Regelbücher verwenden.
Ein Digitalrechner besteht aus einem Speicher (1.), einer ausführenden Einheit (2.) und aus einem Kontrollwerk (3.). Im Vergleich mit dem Menschen bedeuteten die drei Komponenten folgendes:
- Der Speicher ist ein Informationsspeicher und entspricht dem Papier des Menschen. Dies kann das Rechenpapier und das Regelbuch sein. Auch das Gedächtnis des Menschen soll hier zum Speicher zählen.
- Die ausführende Einheit führt anhand von Rechenergebnissen verschiedene Operationen aus, die von Mensch zu Mensch bzw. von Maschine zu Maschine variieren können.
- Das Kontrollwerk ist dafür da, daß Befehle in richtiger Reihenfolge ausgeführt werden. In einem Rechner wird dies durch Befehlslisten (Programmcode) realisiert. Der Mensch kann sich an Regelbücher halten, oder er hat seine Regeln schon im Kopf (Speicher). Befehle werden normalerweise linear abgearbeitet, aber es besteht auch die Möglichkeit, bedingte und unbedingte Sprünge in dem linearen Ablauf vorzunehmen. Somit können Entscheidungen und Schleifen realisiert werden.
Als Beispiel eines solchen geregelten Ablaufes nennt Turing folgendes Beispiel:
“Wünscht die Mutter, daß Thomas jeden Morgen auf seinem Schulweg beim Schuster nachfragt, ob ihre Schuhe fertig sind, kann sie ihm dies jeden Morgen aufs neue sagen. Sie könnte aber auch ein für allemal eine entsprechende Notiz in den Flur hängen, die ihn beim Verlassen des Hauses daran erinnert, nach den Schuhen zu fragen, und ihn auffordern , die Notiz zu vernichten, wenn er die Schuhe bekommen hat.”
Fazit: Wenn man eine Maschine haben will, die denken kann, muß man sie nur richtig und vollständig programmieren (Mensch hat seine Regeln normalerweise im Kopf). Auch kann man sich Maschinen vorstellen, die einen unbegrenzten Speicher haben (immer nur erweitern) und somit alle andere Zustandsmaschinen simulieren können (universelle Turingmaschine). Ein interessanter Gedanke wäre eine Maschine mit einem zufälligen Element. Hat solch eine Maschine einen freien Willen? Maschinen müssen nicht unbedingt elektrisch sein. Das Nervensystem des Menschen z.B. ist eine Kombination aus chemischen und elektrischen Vorgängen. Die Elektrizität wird hier nur wegen dem Geschwindigkeitsvorteil gebraucht.
Universalität der Digitalrechner
Die Maschinen aus dem vorherigen Kapitel gehören zu den diskreten Maschinen. Dies bedeutet, daß sie theoretisch ihre Zustände schlagartig ändern (Digitalrechner: von 0 auf 1 bzw. von 0V auf +5V). Aus solchen Maschinen kann man Zustandsmaschinen herstellen. Dies sind Maschinen, die anhand von Eingabewerten und dem inneren Zustand (gespeicherte Werte) eine Ausgabe erzeugen und dabei womöglich den inneren Zustand ändern. Laplace war sogar der Meinung, daß das ganze Universum eine Art Zustandsmaschine sei. Wenn hier also ein Atom verschoben wird, kann dies die Ursache sein, warum ein Mensch ein Jahr später unter einer Lawine stirbt. Anders als im Universum wissen wir, welche Eingaben in kleinen Zustandsmaschinen zu welchen Ergebnissen führen. Wenn also ein Digitalrechner schnell genug ist, könnte man mit ihm jede Maschine mit diskreten Zuständen simulieren. In unserem Imitationsspiel wäre der nächste Schritt zuerst einmal eine Maschine (A) und eine Maschine (B), die (A) simuliert. Der Fragesteller wäre nun nicht in der Lage, die beiden Maschinen zu unterscheiden. Natürlich müßte man die Maschine (B) immer wieder neu programmieren, damit sie eine neue Maschine (A) simulieren kann.
Ist es nun denkbar, eine Maschine zu konstruieren, die den Spieler (A) ersetzen kann, wobei der Spieler(B) ein Mensch ist, so daß der Fragesteller © die beiden Mitspieler nicht unterscheiden kann?
Gegensätzliche Ansichten über die zentrale Frage
In den obigen Kapiteln wurde eine Substitution dargestellt, die nicht unbedingt von jedem angenommen wird. Turing stellt nun zuerst seine eigene Meinung dar: Für ihn war es damals vorstellbar, daß in ca. 50 Jahren (also ungefähr heute) ein Rechner gebaut wird, der einen so großen Speicher (ca. 120MB) und eine ausreichende Rechenleistung besitzen, daß dieser Rechner mit richtiger Programmierung in seinem Imitationsspiel gute Leistungen erbringen kann, und zwar derart, daß die Chancen eines durchschnittlichen Fragestellers nach fünfminütiger Fragezeit den richtigen Spieler zu identifizieren, nicht höher als sieben zu zehn stehen. Für ihn ist plötzlich die zentrale Frage: “Können Maschinen denken?” zu belanglos, als daß man ernsthaft darüber diskutiert, obwohl sie am Anfang für Turing noch wichtig war. Außerdem ist ihm klar, daß am Ende des Jahrhunderts sich die Ansichten und der Sprachgebrauch drastisch geändert haben werden. Man könne dann schon von denkenden Maschinen reden. Außerdem gilt, daß Wissenschaftler auch oft auf Grund von Vermutungen in eine bestimmte Richtung forschen und nicht nur von einer bewiesenen Tatsache zur nächsten springen. Also können solche Vermutungen richtungsweisend für die Forschung sein.
Als nächstes werden gegensätzliche Ansichten betrachtet, die sich auf die Frage “Können Maschinen denken?” beziehen, aber für Turing anhand der Vermutung, man könne Digitalrechner bauen, die sich in seinem Test bewähren, jeglichen Sinn verlieren:
Der theologische Einwand
“Denken ist eine Funktion der unsterblichen menschlichen Seele. Gott gab Mann und Frau eine unsterbliche Seele, jedoch weder einem anderen Lebewesen noch einer Maschine. Insofern kann weder Tier noch Maschine denken.”
Turing fragt sich hier, warum die Theologen nicht Mensch und Tier zusammen nehmen und von Maschinen trennen. Dies gebe für ihn eher einen Sinn. Es zeige anscheinend den willkürlichen Charakter der orthodoxen Ansichten. Wie ist es mit den Moslems, die behaupten, daß Frauen keine Seele haben?
Auch stellt er sich die Frage, ob die Allmacht Gottes doch nicht so allmächtig ist? Muß das Lebewesen erst mutieren, also z.B. ein ausreichend großes Gehirn bekommen, damit Gott ihm eine Seele gibt? Dann könnten wir ja davon ausgehen, daß Maschinen eines Tages auch eine Seele bekommen. Wir könnten uns ja ohne Bedenken der Macht Gottes bedienen und Maschinen (bzw. wie heute Kinder) erzeugen, die dann von Gott automatisch eine Seele bekommen.
Allgemein ist Turing nicht sehr angetan, wenn es um theologische Argumente geht. Als Beispiel nimmt er Psalm 104,5 : “der du das Erdenreich gegründet hast auf seinen Boden, daß es bleibt immer und ewig.” Dieser Psalm hat z.B. mitgewirkt, daß die kopernikanischen Theorien bekämpft wurden. Heutzutage kann dies mit unserem Wissen nicht mehr geschehen.
Der Vogel-Strauß-Einwand
“Die Konsequenzen, die sich aus denkenden Maschinen ergäben, wären zu schrecklich. Wir wollen hoffen und glauben, daß sie nicht denken können.”
Diese Aussage beschäftigt viele, vor allem diejenigen, die mit der theologischen Argumentation angefreundet sind. Man solle sich eher klar werden, daß der Mensch notwendigerweise denken kann. Somit braucht man keine Angst haben, daß man die Führungsrolle verliert. Für Turing ist dieses Argument zu unwesentlich, als daß es einer Widerlegung bedürfe.
Der mathematische Einwand
Mit einer Reihe von mathematischen Logiken kann man beweisen, daß Maschinen mit diskreten Zuständen in ihren Fähigkeiten beschränkt sind. Bekannt ist z.B. das Gödelsche Theorem, welches besagt, daß in jedem genügend reichhaltigen logischen System Sätze formuliert werden können, die in diesem System weder bewiesen noch widerlegt werden können, es sei denn, das System ist selbst inkonsistent. Wenn man dies auf Maschinen bezieht, bedeutet dies, daß eine Maschine, die auf einer solcher reichhaltigen Logik aufgebaut wäre, auf eine Frage eine falsche oder gar keine Antwort findet. Aber gilt dies nicht auch für einen Menschen?
Es gibt Maschinen, die also auf eine Frage keine Antwort wissen, die ein Mensch allerdings beantworten kann. Dies gibt uns das Gefühl der Überlegenheit. Doch es gibt Maschinen, die gerade auf diese Frage eine Antwort haben, und vielleicht sogar auf Fragen, die ein Mensch nicht beantworten kann, dafür aber an anderen Fragen scheitern. Ein Mensch kann also nicht einen Sieg über alle Maschinen erringen, da es, wie im echten Leben, immer einen Menschen gibt, der intelligenter ist, bzw. eine Maschine gibt, die intelligenter ist als die andere.
Das Bewusstseinsargument
“Erst wenn eine Maschine dichten oder komponieren kann, und zwar aus Gedanken und Gefühlen heraus, d.h. nicht als Produkt des Zufalls, könnten wir zugeben, daß zwischen Maschine und Gehirn kein Unterschied besteht. Dabei müßte die Maschine natürlich nicht nur in der Lage sein, ein Gedicht oder ein Musikstück zu schreiben, sondern dann auch wissen, daß sie es geschrieben hat. Kein Mechanismus kann sich über seine Erfolge freuen (d.h. mehr als nur künstliche Freude zeigen, was ein leichter Kunstgriff wäre), bei Defekten Kummer empfinden, durch schöne Worte sich geschmeichelt, durch Fehler sich niedergeschlagen fühlen, vom anderen Geschlecht bezaubert, wegen unerfüllter Wünsche zornig oder traurig sein.”
Die einzige Möglichkeit festzustellen, ob eine Maschine denken kann, bestünde hier nur, selber die Maschine zu sein. Oder anders gesehen: wir können eigentlich gar nicht behaupten, daß ein anderer Mensch denken kann, obwohl wir wissen, daß wir denken können. Wir nehmen aber aus praktischen und höflichen Gründen an, daß jeder Mensch denken kann.
Es gibt tatsächlich in der Praxis Tests um herauszubekommen, ob jemand etwas verstanden hat. Diese Tests (viva voce) sind ähnlich dem Imitationsspiel, hier wird einfach der Spieler (B) weggelassen. Wenn nun eine Maschine, die dichten kann, befriedigende Antworten bezüglich des Sinnes und des Hintergrundes seines Gedichtes geben könnte, kann man dann nicht behaupten, daß diese Maschine eine Art Bewusstsein hat? Turing ist nicht der Meinung, daß diese Maschine die Antworten nur künstlich signalisiert. Trotzdem gibt es für Turing Geheimnisse um das Bewusstsein: “Zum Beispiel tritt im Zusammenhang mit jedem Versuch seiner Lokalisierung eine Art Paradoxon auf.” Die Aufklärung dieses Geheimnisses ist für ihn hier aber nicht notwendig.
Argumente, die verschiedene Unfähigkeiten betreffen
“Ich garantiere Ihnen, Sie können Maschinen alles tun lassen, was Sie erwähnt haben, es wird ihnen jedoch nicht gelingen, sie dahin zu bringen, X zu tun.”
Für X kann hier viel stehen, z.B.: Liebevoll, reich, schön, fröhlich sein, freundlich sein, Initiative besitzen, Fehler machen, Richtiges vom Falschen unterscheiden, usw. Diese Ansichten kommen daher, weil wir nichts anderes kennen. Wir sehen Maschinen, die häßlich sind und nur für einen engen Aufgabenraum bestimmt sind, weil z.B. ihre Speicherkapazität beschränkt ist. Diese Maschinen sind schnell hilflos und verloren, wenn man ihre Umgebung ändert.
Früher konnte / wollte man sich nicht vorstellen, was Digitalrechner einmal alles tun können, weil man sie noch nicht konstruieren konnte, obwohl einige schon erkannt hatten, was solch ein Rechner alles leisten kann. Diese Eigenschaft des Menschen scheint keine gute Grundlage für eine wissenschaftliche Diskussion zu sein, andernfalls könnte jeder zum Schluß kommen (wie manche englische und amerikanische Kinder), daß jeder englisch spricht und daß es sinnlos sei, deutsch zu lernen.
Einige Einwände basieren auf der Schwierigkeit, die eine Maschine hat, dem Menschen gegenüber ähnliche freundschaftliche Gefühle zu hegen, wie es sie zwischen den Angehörigen der weißen oder der schwarzen Rasse gibt. Sie sind also eine Art Untermenge eines größeren Problems und müssen nicht explizit angesprochen werden.
Der Einwand “Maschinen können keine Fehler machen” bedeutet nicht, daß eine Maschine dadurch weniger wert ist. Wenn wir eine solche Maschine in unserem Imitationsspiel einsetzten und ihr viele Rechenaufgaben geben, dann können wir sie anhand ihrer Genauigkeit entlarven. Eine Maschine für unser Spiel müßte also so programmiert werden, daß sie auch Fehler machen kann und nicht jede Aufgabe richtig löst. Eine Maschine kann z.B. auch einen “Funktionsfehler” wie einen Stromausfall haben. Diese Art von Fehler wird gerne ausgeschlossen, wenn man davon ausgeht, daß der Ablauf nicht durch physikalische Gegebenheiten gestört wird. (Ein weiterer Fehler, der entstehen kann, sind die “Fehlschlüsse” die nur dann entstehen können, wenn die Ausgabe einer Maschine eine bestimmte Bedeutung hat. Sie könnte nach einer bestimmten Methode Schlüsse aufgrund wissenschaftlicher Induktionen ziehen. Bei einer solchen Methode muß man mit Fehlschlüssen rechnen.)
Der Einwand, eine Maschine könne nicht Gegenstand ihrer eigenen Gedanken sein, läßt sich beantworten, wenn man zeigt, daß eine Maschine sich irgendwelche Gedanken über irgendwelche Gegenstände macht. Man kann z.B. die Fähigkeit eines selbstmodifizierenden Codes betrachten, also wenn ein Programm sich selber ändert, damit es eine Aufgabe besser lösen kann. Ansätze in dieser Richtung sind schon gegeben und werden in Zukunft noch ausgereifter sein. Hier kann man doch sagen, daß eine Maschine über sich selbst im Klaren sein muß.
Der Einwand, daß eine Maschine nur einen begrenzen Tätigkeitsbereich hat, läßt sich auf den Mangel an Speicher zurück führen. Dieses Problem wird von Zeit zu Zeit geringer. Wenn man nun die ganzen Eigenschaften implementieren würde und diese vorstellt, wäre dies für viele immer noch nicht zufriedenstellend, weil die Eigenschaften in Wirklichkeit ziemlich primitiv seien.
Der Einwand der Lady Lovelace
“Die Analytische Maschine erhebt keinen Anspruch, irgend etwas zu erzeugen. Sie kann all das tun, wofür wir die entsprechenden Durchführungsbefehle geben können.”
Kann eine solche Maschine mit der Eigenschaft erweitert werden, daß sie für sich selber denken kann oder eine Art Reflex besitzt, der das Lernen aktiviert? Ob dies grundsätzlich möglich ist, ist eine spannende Frage. Zur Zeit sind solche Maschinen aber nicht vorhanden. Diese Art von Fragen werden weiter unten noch einmal diskutiert.
Ein ähnliche Einwand wäre z.B., daß eine Maschine nie etwas wirklich neues hervorbringen könne. Turing gibt hier eine einfache Antwort: “Es gibt nichts Neues unter der Sonne.” Ist nicht alles, was wir tun, ein Resultat unserer geistigen Erziehung und nachvollzogener Fakten?
“Eine Maschine kann uns nicht überraschen.” Selbstverständlich kann eine Maschine uns überraschen. Dies liegt aber eigentlich daran, daß wir nicht ausreichend genug vorberechnet haben, was die Maschine ausspuckt, oder daß wir in unserer Berechnung oft leichtsinnig oder unwissend sind. Wenn dann das Ergebnis von unseren Erwartungen abweicht, sind wir überrascht.
Wenn man nun einwirft, daß diese Überraschung auf Grund des eigenen Denkens entsteht und nicht Verdienst einer Maschine ist, führt uns dies wieder zum Bewusstseinsargument und somit weit weg von der Überraschung. Es wird immer ein Denkvorgang benötigt, um überrascht zu werden. Turing meint, daß die Ansicht, Maschinen können keinen Anlass zu einer Überraschung geben, ein Trugschluss sei. Sie bestehe in der Meinung, daß eine mitgeteilte Tatsache sofort alle daraus entstehende Folgen dem Verstand mitteilt. Dann wären ja alle Bemühungen, aus gegebenen Daten etwas zu Folgern, überflüssig.
Das Argument der Stetigkeit innerhalb des Nervensystems
Das Nervensystem ist keine Maschine mit diskreten Zuständen. Ein kleiner Informationsfehler bezüglich einer Impulsstärke kann eine ganz andere Antwortreaktion hervorrufen. Solch ein stetiges System kann nicht von einer diskreten Maschine simuliert werden.
Turing geht hier aber davon aus, daß diese Eigenschaft in seinem Imitationsspiel keinen Unterschied macht. Als Beispiel nimmt er einen Differentialanalysator, den man nach dem Wert von Pi (ca. 3,1416) fragt. Dieser würde dann aus den Zahlen 3,12; 3,13; 3,14; 3,15; 3,16 mit den Wahrscheinlichkeiten 0,05; 0,15; 0,55; 0,19; 0,06 eine Zufallswahl treffen, also 3,14. Der Fragesteller könnte nun keinen Unterschied zwischen diskreter und stetiger Maschine feststellen. Ein weiteres Beispiel wäre eine CD, die Digitale Daten enthält, aber wir hören keinen Unterschied zur Originalmusik.
Das Argument von der Unmöglichkeit, Verhaltensregeln festzusetzen
“Es wird einem schnell klar, daß es unmöglich ist für jede Lebenssituation eines Menschen Regeln festzulegen. Somit können wir keine Maschinen sein.”
Für Turing gibt es einen Unterschied zwischen Verhaltensregeln und Verhaltensgesetzmäßigkeiten. Eine Verhaltensregeln ist eine Vorschrift wie z.B.: “Bei Rot stehen, bei Grün gehen.” Eine Verhaltensgesetzmäßigkeit ist eine Art Naturgesetz. Ein Beispiel hierfür wäre: “Wenn du ihn kneifst, dann schreit er.” Man muß zwischen den beiden Begriffen unterscheiden. Ersetzen wir nun “Verhaltensregeln, nach denen er sein Leben gestaltet”, durch “Verhaltensgesetze, die sein Leben gestalten”, sehen wir, daß eigentlich jeder Mensch bzw. jeder Typ von Maschine einzigartig ist und durch seine persönliche Art geleitet wird. Turing folgert nun aus “von Verhaltensgesetzmäßigkeiten gelenkt sein”, zu “eine Art Maschine zu sein” und umgekehrt.
Es ist aber fast unmöglich (und wenn, dann durch Statistik), das Nichtvorhandensein vollständiger Verhaltensgesetzmäßigkeiten zu beweisen. Man kann eigentlich nur durch wissenschaftliche Beobachtungen solche Gesetzmäßigkeiten feststellen, und es kann heute (und vielleicht in Zukunft) noch nicht gesagt werden: “wir haben genügend nachgeforscht, es gibt keine derartigen Gesetzmäßigkeiten”. Anders sieht es mit den Verhaltensregeln aus. Hier finden wir schnell heraus, daß sie nicht vollständig sind. Solange man also nicht ausschließen kann, daß auch ein Mensch unter solchen Gesetzmäßigkeiten steht, kann man daraus kein Argument für das Scheitern denkender Maschinen gewinnen.
Das Argument von der außersinnlichen Wahrnehmung
Unter außersinnlichen Wahrnehmungen verstehen wir die Telepathie, Hellsehen, Prophetie und Psychokinese. Die statistischen Beweise für Telepathie sind überwältigend. Diese auftretende Phänomene scheinen allen üblichen wissenschaftlichen Vorstellungen zu widersprechen. Sie könnten aber wichtiger Faktoren für das Denken sein.
Wie sieht das nun in unserem Imitationsspiel aus? Ein Spieler mit telepathische Kräfte könnte eine Farbe, welcher der Fragesteller in seiner Hand hält besser erraten, als ein Computer mit Zufallszahlen. Eine Identifikation der beiden Spieler ist somit leicht gegeben. Mit außersinnlichen Kräften ist alles möglich. Turing will seinen Test nun einschränken. Er setzt die Spieler in “telepathie-undurchlässige” Räume. Da Turing “über keine sehr überzeugenden Argumente” verfügt, wie er selbst zugibt, nimmt die Diskussion über mögliche Bedenken einen großen Teil in seinem Aufsatz ein. Doch man bekommt das Gefühl, daß es Turing sich zu leicht mit seiner Gegenargumentation machte. Drei Argumente sind für ihn für eine wissenschaftliche Behandlung der Fragestellung irrelevant. Bei dem Argument der “außersinnlichen Wahrnehmung” stellt er seine Spieler einfach in einen “telepathie-undurchlässigen” Raum.
Lernende Maschinen
Wir sehen uns noch einmal Lady Lovelaces Einwand an: Maschinen tun nur das, was man ihnen befiehlt. Wie wäre es mit folgender Ansicht: Der Mensch gibt der Maschine eine Idee, die dann daraufhin eine Antwort ausgibt und dann schweigt. Oder ein weiterer Vergleich: Wir haben ein Atomkraftwerk unterhalb der kritischen Größe. Ein Neutron, daß von außen hineingegeben wird, soll unsere Idee sein. Dieses Neutron wird im Reaktor eine gewisse Störung hervorrufen, die dann aber wieder abklingt. Hat der Reaktor die kritische Größe erreicht, dann würde er aber zerstört werden.
Gilt dieser Vergleich auch für den Menschlichen Verstand? Turing behauptet, daß dem so sei. Der Verstand der meisten Menschen sei unterhalb der kritischen Größe. Als Antwort bekommt man nur wieder eine Idee. Es gibt aber auch Menschen, die mit einem kritischen Reaktor verglichen werden können. Diese stellen gleich eine ganze Theorie auf mit weiteren Ideen, die sie aus der gegebenen Idee herleiten. Läßt sich solch eine kritische Maschine konstruieren?
Hier sieht man, daß dies eine große Aufgabe der Programmierer wird. Denn unser Gehirn hat eine Größe im Bereich von 1010 bis 1015 Bits. Die Programmierung eines solchen Speichers benötigt viel Zeit und ist eigentlich unmöglich. Turing stellt hier nun eine neue Lösung für das Problem da:
Man kann sich nun erst einmal klar werden, wie ein erwachsener Mensch zu seinem Verstand kommt:
- nach seiner Geburt ist das Gehirn im Anfangszustand
- dann bekommt er eine Erziehung
- nebenbei macht er noch Erfahrungen, die nicht Bestandteil seiner Erziehung sind.
Somit können wir das gegebene Problem in zwei Teilprobleme zerlegen. Wir schreiben ein Kind-Programm, und erziehen es dann. Natürlich muß man daß richtige Kind-Programm finden. Dabei können wir uns bekannte Zusammenhänge feststellen:
Struktur des Kind-Programms | = | Erbgut |
Veränderung des Kind-Programms | = | Mutation |
Natürliche Auswahl | = | Welturteil des Experimentators |
Vorteil in unserem Experiment: der Experimentator kann durch seine Intelligenz die Auswahl und Mutation beschleunigen. Der Lernprozess einer Kind-Maschine unterscheidet sich stark von dem Lernprozess eines echten Kindes. Die Maschine hat keine Gliedmaße, sie kann nicht zur Schule gehen und es fehlt ihr die Kommunikation zwischen den Mitschülern, die sie ärgern, und dem Lehrer. Für den Lernprozess muß man beachten, daß man die Möglichkeit hat, einer Maschine “emotional” und “nicht emotional” etwas beizubringen. Ein “emotionaler” Weg wäre z.B. die Maschine zu “bestrafen”, indem man ihr sagt, daß das gefundene Ergebnis falsch sei. Umgekehrt würde ein “Ja” eine Art Belohnung sein und die Wahrscheinlichkeit einer Gegebenheit dann höher bewerten. Die Maschine würde sich aber nicht “freuen”, wenn ich sie erst hundert mal bestrafe, bis sie endlich die richtige Lösung erraten hat. Dies dauert einfach zu lange. Deswegen benötigt man noch den “nicht emotionalen” Weg, auf dem ich einer Maschine direkt Fakten überliefern kann.
Es gibt verschiedene Meinungen, wie man eine Kind-Maschine konstruieren kann. Entweder so einfach wie möglich im Einklang aller Prinzipien oder als ein vollständiges System, in dem logische Schlussweisen eingebaut sind (Definitionen, Sätze, usw.). Aber eins ist sicher, eine Maschine sollte so programmiert werden, daß jeder wohlbegründeter Befehl automatisch eine Aktion nach sich zieht. Ein Beispiel: die Maschine weiß: “was der Lehrer sagt, ist richtig” und hört vom Lehrer: “mach deine Hausaufgaben”, dann sollte sie anfangen, ihre Hausaufgaben zu bearbeiten.
Allgemein gilt, daß die Befehle für eine Maschine ausführbar bleiben, da sie z.B. normalerweise keine Gliedmaßen hat. Wichtig sind auch Befehle, die eine Reihenfolge festlegen, denn in einem logischen System kann es auf einer Entscheidungsstufe eine Vielzahl von alternativen Entscheidungen geben. Beispiel: “Erweist sich eine Methode schneller, als die andere, dann nehme die schnellere.” Befehle können von außen oder von der Maschine selber kommen.
Eine Denkende Maschine muß seine eigenen Regeln, die vollständig beschreiben, wie eine Maschine reagiert, ändern können. Wichtig ist, das diese Regeln unabhängig von der Vergangenheit der Maschine und unabhängig von ihrer möglichen Zustandsänderungen sind. Die Regeln, die beim Lernen geändert werden können, sollen anspruchslos und nur vorübergehend gültig sein. Es werden also nicht die grundlegenden Verhaltensgesetzmäßigkeiten verändert.
Ein weiteres Kennzeichen einer lernenden Maschine ist, daß der Lehrer eigentlich gar nicht richtig weiß, was für ein innerer Zustand die Maschine genau hat. Dies steht offensichtlich im Widerspruch zu der Meinung, daß wir wie bei gewöhnlichen Maschinen den inneren Zustand kennen und nachvollziehen können. Tut nun eine Maschine nur das, was man ihr befiehlt? Hier anscheinend nicht mehr. Dadurch, daß eine Maschine lernen kann, wird ihr Ergebnis immer etwas von der Erwartung des Fragestellers abweichen. Denn Lernprozesse zeigen nicht mit hundertprozentiger Sicherheit das richtige Ergebnis an, sonst wäre ein Verlernen ja nicht möglich. Mit dieser Eigenschaft erlangt man doch eine Art “menschliche Fehlbarkeit”. Intelligentes Verhalten einer Maschine besteht vermutlich nun in der richtigen Auswahl der Befehlsreihenfolge und in der Abweichung vom völlig disziplinierten Verhalten, welches jedoch so gering ist, daß es nicht als Zufallsergebnis angesehen werden kann oder in einer sinnlosen Schleife endet.
Ein zufälliges Element in einer Maschine kann die Sache noch interessanter machen. In manchen Suchalgorithmen ist eine zufällige Suche nützlicher als die Sequentielle, da man sich nicht merken muß, welche Elemente schon getestet wurden. Im Evolutionsprozess wurden ja anscheinend auch zufällige Elemente bei der Wahl der Genkombinationen benutzt.
Turing hofft, daß Maschinen vielleicht einmal auf allen rein intellektuellen Gebieten mit dem Menschen konkurrieren. Aber mit welchem Gebiet sollte man sich zuerst beschäftigen? Ist das Schachspiel ein guter Start, oder sollte man eine Maschine mit Sinnesorgane ausstatten und sie dann wie ein Kind erziehen? Eins ist sicher, wenn wir Klarheit erlangen wollen, dann gibt es auf diesem Gebiet noch viel zu tun.
Die Zeit heute, 50 Jahre nach Turing
Die heutigen Rechner verfügen über eine viel mächtigere Hardware, als Turing es eigentlich erwartet und vorausgesetzt hatte. Doch kann man trotzdem noch nicht behaupten, daß eine Maschine richtig denken kann. Auch sind heute Probleme bekannt, an die Turing noch nicht gedacht hatte. Zu erwähnen wäre da die Bild- und Spracherkennung. Natürlich gibt es dort schon einige Fortschritte (vor allem aktuell in der Spracherkennung) trotzdem ist immer noch ein großer Aufwand an Forschung nötig, bis eine Maschine für das Imitationsspiel mit geeigneter Texterkennung und dem entsprechenden Verständnis erstellt werden kann.Joseph Weizenbaum hatte in den 60er Jahren ein Programm geschrieben, daß einen Psychotherapeuten simulierte und im gewissen Sinne damals den Turing-Test bestanden hatte. Er nannte es ELIZA. Dieses Programm hatte eigentlich nichts anderes gemacht, als den Satz, den er bekommen hatte, in eine Frage umzustellen. Beispiel: “Mir geht es so schlecht! -> Erzählen Sie mir, warum es ihnen so schlecht geht.” (Oder wenn man das Verb “gehen” mit “hören” und das Wort “schlecht” mit “gut” austauscht, bekommt man einen Dialog der Art: “Ich höre so gut -> Erzählen Sie mir, warum sie so gut hören.”) Dadurch wird der Patient zum Weiterreden angeregt und das Programm kann somit die Notwendigkeit einer Wissensbasis umgehen. In der englischen Sprache ist diese Satzumformung einfacher als im Deutschen.
Das Schlimme an diesem Experiment war nun aber, daß einige Patienten wirklich glaubten, sie vertrauen sich einem echten Psychotherapeuten an. Man dachte also, ELIZA könne denken und in einigen Jahren könnte ein Computer mehrere Patienten betreuen. Das ELIZA nicht denken kann, ist uns aber klar. Das Programm hat nichts verstanden, sondern lediglich Satzumformungen vorgenommen! Bei diesem Test hatten die Patienten zwar nicht die Aufgabe, herauszufinden, wer Mensch und wer Maschine war, aber trotzdem kann man behaupten, daß es sich hier um eine Art Turing-Test handelt, weil die Patienten eben wirklich dachten, sie hätten es mit einem intelligenten Gegenüber zu tun.
Die Künstliche Intelligenz mußte inzwischen starke Einbrüche miterleben. Zwar gibt es heutzutage Rechner, die so gut Schach spielen, daß nur noch die Großmeister diese Rechner besiegen können. (Und selbst die haben es schwer: siehe Deep Blue gegen Kasparov). In ein paar Jahren sind die Rechner womöglich zehn mal schneller als die heutigen Rechner, dann wird es unmöglich sein gegen diese zu gewinnen. Dennoch wird dieser Erfolg von einem riesigen Misserfolg begleitet. Diese erfolgreiche Programme arbeiten mit der Hammermethode. Dies bedeutet, keine Heuristiken mehr, keine Strategien mehr, kein “Verstehen”, sondern nur pures Bewerten möglichst vieler Spielzüge im voraus. Vielleicht sogar mit Hilfe einer großen Datenbank, welche schon mit Erfahrungswerten der Menschheit gefüllt ist. Ob solch eine Maschine den Turing-Test besteht, ist fragwürdig.
Kritische Argumente
Unser Gehirn
Es scheint, daß sich die Menschheit schon immer gerne im Spiegel seiner aktuellen Technik gesehen hat (technomorphe Anthropologie). In der Antike sah Thales den Körper als eine Art hydraulisches System. Im 17. Jahrhundert stellte Descartes die Nerven als Röhrchen dar, in denen Fäden laufen, die im Kopf die entsprechenden Ventile betätigen, welche die Gliedmaßen bewegen lassen.
Zu den Zeiten Turings war die Ansicht verbreitet, daß unser Gehirn eine Art elektrischer Speicher, bestehend aus einem Netz von Synapsen, sei und wie eine elektrische Maschine funktioniert. Doch in der Forschung wurde man immer unschlüssiger, wie unser Gehirn funktioniert, weil sich immer mehr Rätsel auftaten. Unser Gedächtnis ist anscheinend viel komplizierter, als angenommen. Man weiß heute, daß auch chemische Bestandteile hier eine bedeutende Rolle spielen.
Der theologische Einwand
Turing hält nichts von Gott. Für ihn sind die Fehler, die ein Mensch macht, und wenn sie auch “im Namen Gottes” geschehen, schon Beweis genug, das die Theologie Schwachsinn ist. Er nimmt nun als Beispiel den Psalm 104,3. In diesem Psalm wird Gott der Schöpfer der Erde gelobt, und zwar von einem Menschen, der Gott erkannt hat. Dies bedeutet aber nicht automatisch, daß dieser Mensch gleich über alle Gesetzmäßigkeiten dieser Welt informiert ist. Wenn er nun einen Psalm für seinen Gott (und der Menschheit) aufschreibt, und dessen Herrlichkeit lobt, dann nimmt er Vergleiche, die er kennt. Und für ihn war nun einmal die Erde noch nicht rund und frei schwebend. Wenn nun einige Menschen einzelne Sätze aus der Bibel zitieren, aber den echten Hintergrund nicht kennen, kann man zu solche Fehlschlüsse, wie im Mittelalter, kommen. Es ist durchaus möglich, daß ein Mensch mehr als sein Körper, seine Triebe und sein logisches Gehirn besitzt. Vielleicht können wir es selber nur nicht ohne Hilfe von außen bzw. oben erkennen.
Ist Denken und Simulation dasselbe?
Turing geht den Schritt, daß er die Definitionen vom “Geist” und vom “Denken” nicht darlegen will, sondern dafür ein Imitationsspiel einführt, bei dem eine Maschine einen Menschen simulieren soll. Müßte Turing aber nicht genau diese Begriffe zuerst definieren, um die Äquivalenz zwischen den beiden Gegebenheiten zu beweisen?! Bei dem Imitationsspiel ist die Aussage des menschlichen Spielers zweifellos ein Produkt seiner Intelligenz. Auch die Aussage der Maschine kommt durch eine intelligente Beteiligung zustande. Doch kann man nicht einfach behaupten, ob dies die Eigenschaft des Programmes ist, oder ob nicht ein intelligenter Programmierer der Grund für solch ein (simuliertes) Ergebnis ist.
John Searle hat einen bedeutsamen Einwand gegen den Test von Turing: Das chinesische Zimmer. Dieses besagt folgendes: Angenommen der Algorithmus für Turings Maschine sei auf chinesisch verfaßt, und ein deutsch sprechender Mensch sitzt in einem abgeschlossenen Raum mit einem Briefkasten. Durch diesen Briefkasten kommen nun die chinesischen Befehle, die der Mensch nicht versteht. Aber anhand eines Beschreibungsbuches weiß er, welche Tasten (z.B. einer Schreibmaschine) er drücken muß. Solch eine Maschine könnte Turings Kriterium in seinem Imitationsspiel erfüllen, aber selber überhaupt nicht verstehen, was sein Fragesteller ihm in den Briefkasten wirft. Also kann man hier nicht behaupten, daß diese Maschine denken kann, wenn man Denken mit Verstehen definiert. Die Definition ist hier also wichtig.
Der mathematische Einwand
Der oben gezeigte mathematische Einwand zeigt, daß der Turing-Test und die zentrale Frage nicht äquivalent ist. Es bedeutet keinesfalls, daß eine Maschine, die auf eine Frage keine Antwort hat, also Ratlos ist, nicht denken kann. Sonst könnten wir dies bei einem Menschen genauso behaupten. Aber dennoch zeigt dieser Einwand Grenzen in Turings Theorie. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es nicht eine Universalfrage gibt, in der alle Maschine versagen, egal wie verschieden sie sind und ihre Lücken gegenseitig abdecken. Falls es solch eine Frage gibt, dann ist der Turing-Test wertlos.
Kann man das menschliche Denken vollständig in Algorithmen verfassen? Besteht nicht die Möglichkeit, daß gerade die Zahlen, die man nicht berechnen kann, eine wesentliche Rolle in unserem Denken spielen. Ist dies der Fall, dann sieht es schlecht aus mit dem Digitalrechner. Kann es nicht sein, daß unsere Umgebung Elemente enthält, die überhaupt nicht mathematisch beschrieben werden können? Dann könnte man einer Maschine nie das fundamentale Wissen beibringen, das ein Mensch hat.
Haben Emotionen keine Bedeutung?
Früher hatte man gedacht, daß Emotionen und das Denken zwei völlig getrennte Gebiete waren. Doch inzwischen weiß man, daß das Bewusstsein wahrscheinlich einem emotionalen Rahmen unterliegt (Ronald de Souza “The Rationality of Emotions”). Wenn dies der Fall ist, dann muß man erst einmal klären, ob und wie man Emotionen simulieren kann. Dann entsteht aber eine neue Frage: “kann man maschinelle Gefühle mit menschlichen Gefühlen vergleichen?”. Wenn es um das Denken geht, dann kann man sinnvollerweise annehmen, das der Mitmensch auch denken kann. Doch man muß darauf achten, daß die Emotionen, die ein Mensch zeigt, nicht unbedingt die gleichen sind, die dieser Mensch auch wirklich fühlt.
Das Bewusstseinsargument
Es ist nicht sicher, daß eine Maschine, die das Imitationsspiel besteht, auch gleich deswegen ein Bewusstsein besitzt. Ist Denken eigentlich notwendigerweise mit Bewusstsein verbunden? Können wir überhaupt erkennen, ob wir ein Bewusstsein haben, wenn wir über das Denken nachdenken, oder erkennen wir nur, daß wir denken? Ich finde hier entsteht eine unüberwindliche Grenze, wenn man über das Bewusstsein diskutieren will.
Kann der Turing-Test überhaupt “künstliche Intelligenz” einschätzen?
Unser bewußtes Denken, Handeln, Planen und Empfinden wird im weiteren Sinne stark von unserer Körperlichkeit geprägt. Dabei ist nicht nur an den Stoffwechsel zu denken, sondern auch an die Selbstbestätigung. Die Körperlosigkeit ist kein Problem, daß man einfach so isolieren kann, denn die meisten Gespräche beziehen sich irgendwie immer auf unseren Körper. Man denke einfach einmal an die Psychoanalyse. Turing will solch einer Maschine technische Triebe verpassen, damit sie dem Menschen gleich kommt. Dies würde aber bedeuten, daß man alle menschlichen Triebe programmieren müßte, also eine vollständige Simulation der Körperlichkeit notwendig wäre, damit die Maschine das Imitationsspiel bestehen könne. Solch eine Simulation würde eigentlich nur für den Turing-Test implementiert werden und einer Maschine praktisch gar nichts bringen. Warum sollte man einer Maschine keine sinnvollen Triebe geben? Ein solches Programm würde im Turing-Test aber sofort auffallen, weil die Triebe eines Rechners andere sein müssen, als die eines Menschen. (Triebe sind z.B. für die Erhaltung der Rasse sinnvoll. Der Mensch arbeitet, um Essen kaufen zu können. Die Maschine könnte so programmiert werden, daß sie durch ihren “Trieb” versucht zu verhindern, daß sie ausgeschaltet wird.)
Wie wir hier sehen, ist die menschliche Intelligenz sehr universal. Eines Tages können durchaus “intelligente Roboter” existieren, die uns im täglichen Leben weiterhelfen, oder uns vielleicht an manchen Stellen ersetzen, aber deswegen hat die KI das Problem, welches als “Leib-Seele-Problem” bekannt ist, noch lange nicht gelöst. Unser geistiges Befinden ist nicht von der Körperlichkeit zu trennen.
Schlusswort
Das Imitationsspiel ist ein sehr mächtiges Berechenbarkeitsmodell. Der Turing-Test sollte als hinreichender Beweis für die Intelligenz gelten, aber nicht als ein notwendiges Kriterium für Intelligenz. Dies soll bedeuten, daß es auch andere Arten als menschliche Intelligenz geben kann bzw. darf. Es ist leider nur sehr schwer, solch eine Intelligenz zu charakterisieren. Den Telepathie — Einwand schließt Turing nicht aus. Daran kann man erkennen, das Turing offen ist gegenüber neuen Kritiken.
Wenn es auch möglich ist, daß eines Tages Roboter mit uns kommunizieren können, so bin ich doch fest der Meinung, daß diese simulierten statistische Gedanken und Gefühle keinesfalls eine Seele besitzen und unser menschliches Verlangen nach Menschlichkeit nicht zufriedenstellen können. Eine solche Maschine kann nie vom Guten bzw. Schlechten, oder noch tiefer betrachten, von Gott oder seinem Gegenspieler, geleitet werden.
Referenzen
(nur eine kurze Übersicht)
Künstliche Intelligenz — Philosophische Probleme — Reclam ISBN 3−15−008922−0
Alan Turing Home Page (leider nicht mehr vorhanden)
Das Buch der Bücher: die Bibel
JUN